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In den vergangenen Jahren war die Konjunkturlage besonders günstig; charakterisiert war sie durch eine niedrige Inflation, historisch niedrige Zinsen wie auch Liquiditätsspritzen seitens der Zentralbanken. Seit einigen Monaten hat sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert und drückt heute auf die Finanzmärkte. Unsere Experten Franck Heinen, Head of Treasury, und Damien Petit, Head of Private Banking Investments, geben Antwort auf einige Fragen im Zusammenhang steigender Zinsen.

Steigende Zinsen: Wie ist die aktuelle Situation einzuschätzen?

In den vergangenen Jahren sind die Zinsen auf ein historisch niedriges Niveau gefallen; sie wurden durch eine extrem lockere Zinspolitik nach unten gedrückt. Durch diese außerordentlich niedrigen Zinsen sind auch die Kreditzinsen auf ein extrem niedriges Niveau gesunken – was Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer durchaus gefreut hat. Seit einigen Monaten gehen dadurch jedoch die Finanzierungskosten in die Höhe, und im Kreditgeschäft muss damit gerechnet werden, dass die Kosten in den kommenden Monaten noch weiter steigen.

Besonders deutlich ist der Anstieg bei langfristigen Zinsen, die vor allem für die Berechnung von Immobilienkrediten verwendet werden: Mitte Mai waren die Finanzierungskosten bei einem Festzinssatz für 20 Jahre mehr als doppelt so hoch wie noch Anfang 2022.

Dieser Anstieg der Zinskurve spiegelt die Erwartungen des Marktes wider, wie sich die Geld- und Zinspolitik der Europäischen Zentralbank künftig entwickeln dürfte. Bislang nahm die EZB noch keine Anhebung der Kurzfristzinsen vor, die insbesondere Kredite zu variablen Zinssätzen und zu Zinssätzen mit Revisionsklausel betreffen. Deshalb sind die Bedingungen für solche Finanzierungen nach wie vor günstig – zumindest vorläufig.

Inflation: Was ist in den kommenden Monaten zu erwarten? Welche Maßnahmen könnte die EZB ergreifen?

In den vergangenen Monaten hat sich das wirtschaftliche Umfeld stark verändert, die Inflation in der Eurozone ist im ersten Quartal 2022 auf 7,5 % gestiegen. Daher erwartet der Markt eine Reaktion der Europäischen Zentralbank auf diese Preisbeschleunigung, die vor einem Jahr mit dem Anstieg der Energiepreise begonnen hatte, gefolgt von einem neuerlichen Preisschub im Herbst und schließlich einem weiteren Höhenflug infolge des Ukraine-Kriegs zu Beginn dieses Jahres. Die Inflation ist momentan nicht mehr nur bei den Preisen für Strom, Gas und Öl zu spüren, sondern auch bei den Preisen für viele Konsumgüter des täglichen Bedarfs: Diese sind betroffen von gestiegenen Produktionskosten, aber auch vom Mangel bestimmter Rohstoffe und anderer, für die Herstellung notwendiger Bauteile.

Zwar hatte die Europäische Zentralbank die Inflation lange Zeit als vorübergehend betrachtet und darauf beharrt, dass sie keine Maßnahmen zur Gewährleistung der Preisstabilität ergreifen werde. Doch nach den jüngsten Entwicklungen musste sie diese Analyse revidieren. Ein erstes Mal griff die EZB bereits ein, als sie das vorzeitige Ende ihres Anleihekaufprogramms ankündigte. Der nächste Schritt dürfte eine Anhebung des Leitzinssatzes sein. Das ist bisher noch nicht passiert; die Gründe sind insbesondere der Ukraine-Krieg wie auch die Absicht der Europäischen Zentralbank, eine konjunkturelle Abkühlung zu vermeiden.

Doch mit Blick auf die galoppierende Inflation und die negativ bleibenden realen Zinsen (Nominalzins minus Inflationsrate) dürfte die EZB höchstwahrscheinlich ihren Leitzinssatz erhöhen. Der Markt rechnet momentan mit zwei bis drei Anhebungen um jeweils 25 Basispunkte bis Jahresende, sodass der Leitzinssatz schließlich bei 0,75 % läge. Weitere Zinsschritte werden auch für 2023 erwartet.

Welche Auswirkungen hat eine Zinserhöhung für verschuldete Staaten und das Kreditgeschäft?

Während viele Länder in den vergangenen Jahren Kredite zu negativen Zinsen aufnehmen konnten, scheint diese Zeit jetzt vorbei. Die Belastung durch Schuldzinsen könnte erheblich ansteigen, wenn die Zinsen ihren Höhenflug fortsetzen. Wenn diese Zinsanhebung von einem starken Wirtschaftswachstum – und demzufolge Mehreinnahmen – begleitet würde, hätte dies für die Staaten weniger Nachteile. Doch die Wachstumsaussichten der kommenden Monate mit Ukraine-Krieg und Wachstumsverlangsamung in China sprechen nicht für dieses Szenario.

Auch die Privathaushalte und Unternehmen könnten von der Verteuerung der Kreditkosten betroffen sein, weil Konsum und Investitionen gebremst würden. Vor allem überschuldete Privathaushalte dürften unter dieser Situation leiden. Unternehmen ohne Eigenkapital wie auch Firmen, deren Spielraum bei der Preisgestaltung begrenzt ist und die folglich die gestiegenen Kreditkosten schwerer über die Preise weitergeben können, dürften am stärksten gefährdet sein.

Zwar verfolgt der Immobiliensektor den aktuellen Zinsanstieg aufmerksam, doch es besteht kein Grund zur Panik. Dennoch sollte ein Anstieg aller kurzfristigen Zinssätze und damit auch die Bedingungen für Kredite mit variablen Zinsen abgewartet werden. Diese Verteuerung der Schuldenkosten sollte von allen Wirtschaftsakteuren berücksichtigt werden, die einen Kredit in Anspruch nehmen.

Wie wirken sich die höheren Zinsen auf Sparprodukte und Anlagen aus? Was bedeutet dies für den Anleihenteil im Portfolio?

Die Vergütung einiger Finanzprodukte in Euro ist direkt an die Zinsen geknüpft, die von der Europäischen Zentralbank festgelegt wurden. Während in den vergangenen Jahren die Zinsen für Sparkonten bei 0 % oder darunter lagen, wurden bestimmte Geldmarktprodukte oder Vermögensanlagen gar nicht mehr angeboten – das war insbesondere bei Termineinlagen in Euro oder US-Dollar der Fall. Seit einigen Wochen und Monaten werden diese wieder rentabler.

Mit Blick auf unsere Portfolios mit Verwaltungsmandat werden Anleihen, die in den letzten Jahren stark untergewichtet waren, vor allem in den USA allmählich interessanter.

Die Gewichtung dieser Anlageklasse wird daher schrittweise erhöht, um von attraktiveren Renditen profitieren zu können. Qualitätsaktien von Unternehmen mit Preissetzungsmacht sind in einem zunehmend inflationären Umfeld nach wie vor sinnvoll.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich ziehen?

Die realen Zinsen (Nominalzinsen minus Inflationsrate) werden negativ bleiben. Ihre Entwicklung sollte in den kommenden Monaten jedoch aufmerksam beobachtet werden. Unsere Anlagestrategie basiert auf bewährten und vernünftigen Grundsätzen, die wir langfristig und diszipliniert anwenden. Ihre Beraterin und Ihr Berater stehen Ihnen gern zur Verfügung und prüfen mit Ihnen die Lösungen, die Ihren Bedürfnissen am besten entsprechen.


Wenn Sie mehr wissen möchten, kontaktieren Sie uns:

Andreas Gerten
Berater Private Banking
bianca haas
Beraterin Private Banking

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