Finanzmärkte 2023: Haben wir das Schlimmste überstanden?
2022 war geprägt von geopolitischen Spannungen, Energiekrise und Inflationsdruck. Guy Wagner, Chief Investment Officer der Kapitalanlagegesellschaft BLI - Banque de Luxembourg Investments, spricht nun über die großen Herausforderungen, vor denen die Volkswirtschaften 2023 stehen, und über mögliche Anlagechancen.
Hören Sie den gesamten Podcast.
- Wirtschaft: Haben wir das Schlimmste hinter uns?
- Rezession: Kann sie noch vermieden werden?
- Inflation: Hat sie ihren Höhepunkt erreicht?
- Steigende Zinsen: Geht dieser Trend weiter?
- USA: Können sie eine Rezession umgehen?
- China: Welche Auswirkungen hat die erneute Öffnung der Wirtschaft?
- Investments: Welche Anlagechancen gibt es in diesem Kontext?
- Kryptowährungen: Wie ausgereift ist dieser Markt?
- Rentenmärkte: Was macht diese Märkte heute attraktiv?
- Asien: Gibt es gute Anlagechancen?
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Guy Wagner, das Jahr 2022 war turbulent und hat eine gewisse Art von Widerstandsfähigkeit gezeigt. Was erwarten Sie für 2023? Haben wir das Schlimmste überstanden?
In den vergangenen 18 Monaten hat uns vor allem die Inflation Sorgen bereitet. Nun werden wir das Wachstum sehr genau betrachten. Die meisten Indikatoren deuten auf einen ziemlich ausgeprägten Rückgang der Konjunktur hin. So gesehen lässt sich eine Rezession nicht ausschließen. Die Inflation dürfte ihrerseits weiter sinken, wie wir es bereits in den USA festgestellt haben. Das ist vielleicht der erfreulichste Punkt. Die große Unsicherheit bleiben eher die Lohn- und Gehaltsentwicklung und die Beschäftigungskosten.
Ist eine Rezession unvermeidbar?
Man kann immer versuchen, sie zu vermeiden, wobei man das Risiko sehr ernst nehmen muss. Im letzten Jahr hat niemand damit gerechnet, welches Ausmaß die geldpolitische Straffung in den USA haben würde. Nach der Wiedereröffnung der Volkswirtschaften 2020 stiegen die Langfristzinsen und die Konjunktur beschleunigte sich. Dennoch weisen heute sämtliche Indikatoren klar auf eine recht deutliche Konjunkturverlangsamung hin.
Im Moment schauen alle auf China, das nach zwei Jahren äußerst strenger Null-Covid-Politik nun seine Wirtschaft und Grenzen wieder öffnet. Wie nehmen Sie diesen radikalen Strategiewechsel wahr?
Er war notwendig. Die Kommunistische Partei hat schlichtweg gemerkt, dass sie ihre Null-Covid-Politik nicht weiterführen kann. Sobald sich die Situation normalisiert hat, dürfte die chinesische Wirtschaft wieder zu einem etwas höheren Wachstumstempo zurückkommen. Bekanntlich ist es aber unrealistisch zu glauben, dass die kräftigen Wachstumsraten von früher wieder erreicht werden könnten.
Welche Anlagechancen bieten sich in diesem düsteren Kontext?
Im Szenario von abschwächendem Wachstum und sinkender Inflation könnten hochwertige Anleihen bei den Anlegerinnen und Anlegern wieder beliebter werden, nachdem das vergangene Jahr für die Rentenmärkte sehr schlecht war. An den Aktienmärkten scheint dies übrigens erwartet zu werden, möglicherweise auch eine angekündigte Beendigung der Leitzinsanhebungen bis Halbjahresende. Wenn eine Rezession in den USA vermieden wird, werden die Unternehmensgewinne außerdem nicht zu stark einbüßen, weshalb wir mit einem positiven Szenario rechnen könnten.
Bedeutet ein fallender Markt gleichzeitig Anlagechancen?
Kursrückgänge sorgen für eine gewisse Attraktivität. 2022 sind die Bewertungskennzahlen der Aktien gesunken. Diese Aktienbewertung bestimmt langfristig auch das Renditepotenzial. So gesehen ist es positiv, dass die Bewertungen heute niedriger sind als vor einem Jahr. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese Bewertungen trotzdem nach wie vor verhältnismäßig hoch sind.
Lohnt es sich, bestimmte Regionen näher zu betrachten?
Ja natürlich. Heute sprechen viele Faktoren für die Märkte Asiens, einschließlich Japan. Allgemein haben sich diese Märkte seit der Finanzkrise im Vergleich zum US-amerikanischen Markt deutlich schwächer entwickelt. Dennoch konnte sich Japan 2022 in seiner Landeswährung relativ gut behaupten. Auch die Bewertungskennzahlen sind in Asien wesentlich attraktiver, sie könnten mit der erneuten Öffnung Chinas sogar noch nach oben korrigiert werden. Die asiatischen Währungen sind generell noch unterbewertet.
Wie steht es um Gold? Hier war 2022 ja ein recht turbulentes Jahr.
Manche denken vielleicht, dass Gold seiner Rolle als Inflationsschutz nicht wirklich gerecht geworden ist. Das sehe ich nicht ganz so. Obwohl die Zinsen in den USA kräftig gestiegen sind und der US-Dollar stark ist, was sich beides grundsätzlich negativ auf das Edelmetall auswirkt, hat Gold das Jahr in Dollar ausgeglichen beendet und ist in Euro sogar um 6 bis 7 % gestiegen. Längerfristig schätzen wir Gold weiterhin positiv ein, da der Zinsanstieg wie auch die Aufwertung des US-Dollars ihrem Ende zugehen. Das sind äußerst positive Faktoren. Außerdem stellen wir fest, dass vor allem in den östlichen Ländern die Zentralbanken weiterhin massiv Gold kaufen.